Der Weg in den Boxsport war für Diana Drews-Milani, 44, nicht leicht. Sie hatte mit dem Vater in den Neunzigerjahren die großen Kämpfe geschaut, aber sonst war niemand aus der Familie oder dem Freundeskreis mit dem Sport verbunden. Also beschloss die damals 16-Jährige, es einfach in der Box-Kneipe „Zur Ritze“ auf Sankt Pauli zu versuchen. Auf den Bildschirmen liefen Pornos, die Leute saßen vor ihrem Bier, unten war der Boxclub.
Der Besitzer wies Drews-Milani höflich ab („Mädchen – bei uns nicht, das ist nicht gut für dich!“), aber er notierte ihr einige Vereine. Drews-Milani kam so zum HBC Heros, boxte selbst, wurde Mutter, ließ sich zur Grundschullehrerin ausbilden. Heute lebt sie mit ihrem Mann und drei Kindern in München und ist dem Sport noch immer verbunden – durch das Ringrichten. Am Freitag steht sie in Bern, bei einem Kampfabend im Stadttheater der Schweizer Hauptstadt, im Ring.
SZ: Frau Drews-Milani, was war bislang Ihre unangenehmste Situation im Ring?
Diana Drews-Milani: Vor dem Kampf prüfen wir in der Ecke bei den Männern den Tiefschutz. Da fand es ein Boxer mal lustig und hat zurückgeguckt, ob ich auch einen trage. Dem muss man gleich einen Riegel vorschieben und sagen: „Freundchen, mach das im Ring, und du wirst disqualifiziert.“ Manchmal gibt es Konflikte mit dem Part, der verloren hat, weil die Ecke oder der Kämpfer anderer Meinung ist. Aber das geht auch männlichen Kollegen so.
Wie verschaffen Sie sich im Ring Respekt?
Ich achte darauf, dass meine Sprache klar und verständlich ist. Man verschafft sich den Respekt nicht erst im Ring. Wenn die Boxer schon in der Kabine wissen, woran sie bei mir sind, können die sich darauf einstellen. Wenn sie denken, sie können mit mir machen, was sie wollen, dann hat man den Kampf meist schon aus der Hand gegeben. Und ich bin streng. Für ein fieses Foul gebe ich sofort einen Punkt Abzug, da drücke ich kein Auge zu. Wenn die Boxer versuchen, den Kampf mit Unsauberkeiten für sich zu gewinnen, muss man rasch ermahnen. Einen Kampf einzufangen, wenn die Emotionen wild durcheinandergehen, ist kaum zu schaffen.
Gab es Sprüche wie: „Was will die Kleine? Was machst du nachher?“
Nein. Aber von einem Ringsprecher kam mal der Spruch: „Hier ist unsere Kampfrichterin und Ringrichterin Diana Drews-Milani, sie könnte auch das Nummerngirl sein.“ Das sind Momente, in denen man den Respekt der Kämpfer und des Publikums verliert.
Was haben Sie da gesagt?
Nichts. Das Publikum hat gelacht, die Boxer haben nichts mitbekommen. Es ist fast noch unfairer für männliche Boxer und Ringrichter. Wenn herausgestellt wird, dass eine Frau Ringrichterin ist, wird extra applaudiert und mehr gejubelt. Das stellt mich in einen Fokus, in dem ich nicht sein möchte. Ich möchte ja im Ring unsichtbar bleiben. Das ist manchmal schwieriger als Frau: Jeder Fehler, den eine Ringrichterin macht, wird doppelt gesehen. Da ist man dann eine Frau, kennt sich mit Boxen nicht aus und sollte lieber eine Nummer halten.
Haben Sie viele solche Erfahrungen gemacht?
Ja, ein bisschen kommt es doch manchmal durch. Zum Beispiel bei Gesprächen, oder wenn man von Leuten gefragt wird, wie man zum Boxen gekommen ist. Ich werde anders und schärfer kritisiert. Ich denke, das ist in fast jeder Männersportart so, die eine Frau ausübt. Das muss man aushalten können.
Mit welcher Strategie halten Sie dagegen?
Mit der, gut zu sein. Ich erlaube mir so wenig Fehler wie möglich und versuche immer, on point zu sein. Dafür ist das Regelwerk die Grundlage. Dann kann einem keiner ans Bein pinkeln. Die Regeln sind da, um sie einzuhalten und die Boxer zu schützen.
Mein erster Kampf war in einem Bierzelt. Die Leute essen ihr Hendl, trinken Bier und jubeln.
Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, Ringrichterin zu werden?
Nach der Geburt meiner Tochter fehlte neben der Arbeit und der Familie die Zeit, genug zu trainieren oder zu kämpfen. Aber es hat mich wieder zurück in den Ring gezogen. Levent Cukur von „Leos Boxgym“ und Nick Trachte vom „Boxwerk“ hier in München haben Fürsprache für mich eingelegt, und ich habe an mehreren Wochenenden eine Schulung zum Punktrichter im Amateurbereich gemacht.
Und dann?
Dann habe ich die Prüfung zum Ringrichter gemacht, da durfte ich erst mal nur die lokalen Kämpfe in Bayern leiten. Mit der nächsten Prüfung ist man nationaler Kampfrichter und darf deutschlandweit amtieren. Später habe ich die internationale Prüfung abgelegt, dann geht es hoch bis zur Aiba-Prüfung. Nachdem die aber zweimal verschoben wurde, hatte ich keine Lust mehr zu warten und bin zu den Profis. Dort habe ich wieder ganz unten angefangen, das war keine einfache Entscheidung. Denn bei den Amateuren wurde ich in der Bundesliga und international eingesetzt. Wäre es für mich so steil weitergegangen, hätte ich in ein paar Jahren vielleicht sogar an die Olympischen Spiele denken können.
Wie lief die Prüfung zur Ringrichterin ab?
Bei der machen Boxer einen Sparringskampf, und die Prüflinge müssen im Ring agieren. Da haben sich die Boxer einen Spaß mit mir erlaubt und einen Doppel-K.-o. vorgeführt. Die wollten mich verunsichern und fanden das witzig.
Und wie haben Sie auf diese Provokation reagiert?
Ich habe so reagiert, wie es im Regelwerk steht. Aber ich habe ihnen später auch mit einem Lächeln gesagt, dass sie zwei fiese kleine Idioten sind. Der Prüfer hat mich gelobt, wie gut ich mit der Situation umgegangen bin. Das hat mich darin bestärkt, das Regelwerk zu lernen und immer einen Schritt weiter zu denken.
Die Vorbereitung auf einen Kampf ist sicherlich wichtig. Wie muss man sich das vorstellen?
Ich schaue mir vorab Videos von den Kämpfern an und präge mir ihre Kampftechniken ein. Manche Kämpfer richten ihre Schläge gezielt auf den Körper des Gegners. Dann achte ich auf mögliche Tiefschläge oder Schläge, die auf dem Rücken landen könnten, wenn sich der Gegner wegdreht.
Als Sie das erste Mal als Kampfrichterin im Ring standen, welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Das war in einem Bierzelt und wahnsinnig aufregend. Die Leute essen ihr Hendl, trinken Bier und jubeln. Vorab gingen mir Fragen durch den Kopf: Wie bewege ich mich, ohne die Boxer zu stören? Wie bleibe ich unsichtbar und trotzdem präsent? Das ist als zierliche Frau nicht einfach. Die ersten Male ist man dem Publikum ausgeliefert. Irgendeiner ist immer sauer. Damit zurechtzukommen, ist schwierig. Sobald der Gong ertönt, bin ich fokussiert. Heute fühle mich wohler in der Rolle der Ringrichterin als damals als Boxerin. Wenn man rausgeht und sich die Leute nicht über deine Arbeit unterhalten, sondern über das, was im Ring geschehen ist, hat man etwas richtig gemacht.
Schaut Ihr Ehemann, der Box-Kommentator Tobias Drews, Ihre Kämpfe an?
Ja, er ist mein schärfster Kritiker und mein Boxsport-Lexikon. Er kennt den Boxsport, die Kämpfe und die Kampfrichter in- und auswendig. Oft frage ich ihn, ob wir uns einen meiner Kämpfe noch mal ansehen, um darüber zu sprechen. Umgekehrt ist es auch bei seinen Kommentaren so. Dann fragt er mich.
Frauenkämpfe sind manchmal die blutigeren, wilderen Kämpfe.
Welche Tipps haben Sie von anderen Ringrichtern bekommen?
In meinem größten Kampf zwischen Weltmeisterin Cecilia Braekhus und Victoria Bustos in Monte-Carlo war der hervorragende Ringrichter Eddie Cotton mein Supervisor. Er hat mich darin bestärkt, auf mein Bauchgefühl zu hören und mich sicher zu fühlen. Das ist manchmal etwas, was man sehr braucht: Jemanden, der einem den Rücken stärkt, und nicht jemanden, der versucht, dich in eine gewisse Richtung zu lenken. Einen anderen Tipp habe ich von einem Punktrichter auf einer Convention erhalten: „Du musst dir vorstellen, der Kampf ist wie eine Waage: Einer der Kämpfer trifft, die Waage geht ein bisschen hoch.“ Beim Punkten denke ich seitdem immer an dieses Bild, weil es mir hilft, die Konzentration zu halten und den Kampf zu visualisieren.
Haben es weibliche Ringrichterinnen schwerer, gute Kämpfe zu erhalten?
Man bekommt am Anfang die Kämpfe zugeteilt, von denen gedacht wird, dass sie nicht so schwer zu leiten sind. In den USA ist das ein Problem. Man darf nicht Punkt- und Ringrichter gleichzeitig sein. Weil es für eine Frau schwierig ist, viele Ringrichter-Einsätze zu erhalten, entscheiden sich viele dafür, Punktrichterin zu sein. Das ist schade, denn darunter sind Frauen, die bei den Amateuren wunderbare Ringrichterinnen waren.
Ist es einfacher für Sie als Frau, Boxwettkämpfe von Frauen zu leiten?
Nein. Frauenkämpfe sind manchmal die blutigeren, wilderen Kämpfe. Es ist oftmals mehr ein Gewichtsklassenunterschied als ein Frauen- oder Männerunterschied. Bei Männern und Frauen sind die Kämpfe in den leichten Klassen schneller. Für Ringrichter heißt das, wir müssen uns schnell bewegen und jede Bewegung sehen. Das ist anstrengend.
Sie gelten im Ring als fokussiert, wie machen Sie das?
Wenn ich als Punktrichterin agiere, rede ich den ganzen Kampf mit mir selbst und spreche die Treffer an und wer den Kampf führt: „Boxer A, guter Uppercut, liegt jetzt vorne.“ Als Ringrichter ist es wichtig, auf der offenen Seite zu stehen, damit man alles sieht. Fast alle Kollegen versuchen, auf den Boxer zu schauen, der im Nachteil der Situation ist, um Gesicht und Augen zu sehen und zu beurteilen, ob er noch weiterboxen kann.
Der Boxsport wird mittlerweile von Frauen mitbestimmt, auf vielen Ebenen. Braucht es da heute noch Nummerngirls?
Ich finde, es könnte charmanter gestaltet werden. Dass es Mädchen gibt, die eine Nummer hochhalten, das gehört ein bisschen zum Boxsport dazu. Aber man könnte mit einem lokalen Designer zusammenarbeiten, anstatt halbnackte Mädchen da hinzustellen. Das wäre eleganter.
erschienen in der Süddeutschen Zeitung, 12.04.22